Frankfurt am Main, den 11.10.2015 von Oliver Krautscheid
Der Vergleich ist eine Ausprägung der Vertragsfreiheit, infolgedessen er der privatautonomen Verwendung und Ausgestaltung offen steht. Das Aktiengesetz regelt den Vergleich häufiger als das Bürgerliche Recht mit § 779 BGB und schränkt ihn gewissermaßen ein.
Gemäß § 93 Absatz 4 Satz 3 AktG kann sich die Gesellschaft erst drei Jahre nach Entstehung des Anspruchs und auch nur wenn die Voraussetzungen dafür vorliegen, über Ersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder vergleichen. Dies gilt auch für Ersatzansprüche gegen Aufsichtsratsmitglieder.
Die Ursprungsnorm für den Vergleich bildete Art. 213d ADHGB, der durch die Aktienrechtsnovelle von 1884 ins Gesetz aufgenommen wurde. Er enthielt lediglich eine Vergleichsbeschränkung für Gründungsansprüche der Gesellschaft. Hintergrund war die Vermeidung von Missbräuchen, indem sich die Gründer eine Haftungsbefreiung für ihre Geschäftstätigkeit erließen. Vorgesehen war ein Widerspruchsrecht, welches bei einer Gesellschafterminderheit von 20% des Grundkapitals bestand. Mit diesem konnte die Verfolgung des Anspruchs verlangt werden. Zudem war eine drei Jahres- Frist vorgesehen. Vergleichsvereinbarungen sollten damit solange aufgeschoben werden, bis nach allgemeiner Lebenserfahrung der beherrschende Einfluss der Gründer nachgelassen hat. Die Sperrfrist wurde 1897 auf fünf Jahre heraufgesetzt und 1965 wieder auf drei Jahre verkürzt. Mit dem Aktiengesetz von 1937 wurden die Vergleichsbeschränkungen auf alle Organhaftungsansprüche ausgedehnt. 1965 hat der Reformgesetzgeber das Quorum für den Widerspruch einer Gesellschaftsminderheit von 20 auf 10 % gesenkt. Damit sollte es der Minderheit erleichtert werden, die Ansprüche der Gesellschaft gegen das Vorstandsmitglied geltend zu machen. Daraus folgt aber auch, dass ein Widerspruch einer Minderheit, die darunter liegt, wirkungslos bleibt.
Vorbeugend der Gefahr einer kollegialen Verschonung einzelner Vorstandsmitglieder, ist die Zustimmung der Hauptversammlung Voraussetzung für den Vergleich. Erforderlich ist ein formeller Hauptversammlungsbeschluss mit einfacher Stimmenmehrheit gemäß § 133 AktG, sofern die Satzung keine anderweitige Regelung trifft. Betroffene Vorstandsmitglieder unterliegen bei der Abstimmung einem Stimmrechtsverbot gemäß § 16 Absatz 1 Satz 1 AktG.
Der Aufsichtsrat ist gemäß § 112 AktG für die Verhandlung eines Vergleichs zuständig. Die Entscheidung zu einem Vergleich ist als Kompromiss zu einer Inanspruchnahme in voller Höhe zulässig. Die Aufsichtsratsentscheidung diesbezüglich genießt den Schutz der „Business Judgement Rule“ des § 116 Satz 1 in Verbindung mit § 93 Absatz 1 Satz 2 AktG. Der Schutz entfällt, wenn Aufsichtsratsmitglieder sich bei der Entscheidung in einem Interessenkonflikt befinden, weil sie durch Abschluss eines Vergleichs, einer eigenen Haftung wegen Übernahmeverschulden entgehen wollen.
Der Aufsichtsratsentscheidung muss zwingen eine sorgfältige Entscheidungsvorbereitung zugrunde liegen. Dies ist Grundvoraussetzung für den Schutz der Business Judgement Rule. Dazu gehört beispielsweise die zuverlässige Beschaffung von Informationen. Blindes Vertrauen ist schädlich. Beispielsweise in Bezug auf die Vermögensverhältnisse des betroffenen Vorstandsmitglieds, wäre eine eidesstattliche Versicherung einzufordern.
Der wesentliche Inhalt des Vertrags ist bekanntzumachen, da die Hauptversammlung gemäß § 93 Absatz 4 Satz 3 AktG über die Vergleichsvereinbarung beschließen soll, § 124 Absatz 2 Satz 2 AktG. Dabei muss den Aktionären lediglich, die für den Vergleich kennzeichnenden und kritischen Punkte erkennbar gemacht werden. Weitergehende Informationspflichten gibt es nicht und diese sind auch nicht im Wege eine Gesamtanalogie zu begründen.
Der Hauptversammlungsbeschluss über die Zustimmung zum Vergleich kann mit der Anfechtungs- oder Nichtigkeitsklage angegriffen werden.
Festzuhalten bleibt weiter, dass die Gesellschaft grundsätzlich erst drei Jahre nach der Entstehung des Anspruchs die Möglichkeit hat, sich über ihn zu vergleichen. Wie bereits oben erwähnt, soll die Regelung die Gesellschaft davor schützen voreilig, also vor Bekanntwerden des tatsächlichen Schadensausmaßes, über ihren Anspruch verfügen. Die Frist beginnt erst mit Eintritt des Schadens dem Grunde nach. Nach überwiegender Auffassung ist ein vor Ablauf der Sperrfrist geschlossener Vertrag auch dann unwirksam, wenn er unter dem Vorbehalt der Zustimmung der Hauptversammlung steht und deren Zustimmung erst nach Ablauf der Frist erfolgt. Möglich und zulässig sind allenfalls unverbindliche Vergleichsgespräche. Diesbezüglich gibt es eine Auffassung die vertritt, dass eine rasche Streitbeilegung auch im Interesse der Gesellschaft liegen kann und daher ein vorheriger Vergleich möglich sein sollte. Der Gesetzgeber ist dieser Auffassung nicht gefolgt und hat die Sperrfrist nicht gestrichen.
Unternehmen versuchen durch ausgeklügelte Tricks sich dem Anwendungsbereich des § 93 Absatz 4 Satz 3 AktG zu entziehen. Wird der Schadensersatzanspruch einem Dritten abgetreten, so gilt für diesen das Vergleichsverbot nicht. Es ist umstritten, ob diese Normvermeidungsstrategie zulässig ist oder eine unzulässige Gesetzesumgehung darstellt. Erhält die Gesellschaft eine vollwertige Gegenleistung wird man von der Zulässigkeit ausgehen können. Die Gesellschaft stünde in diesem Fall sogar besser da, als wenn die den Anspruch selbst gegen das Organmitglied durchsetzen müsste.
Von § 93 Absatz 4 Satz 3 AktG werden sowohl der außerordentliche Vergleich, als auch der Prozessvergleich, der Anwaltsvergleich und der Schiedsvergleich erfasst. Eine etwaige Ersatzpflicht gegenüber den Gläubigern wird durch den Vergleich nicht aufgehoben, sofern diese von der Gesellschaft keine Befriedigung erlangen. Dem Vergleich kommt insofern nur eine relative Wirkung zu.
Frankfurt am Main, den 11.10.2015 von Oliver Krautscheid
Vergleiche bilden ein übliches und regelmäßig sinnvolles Mittel der Streitbeilegung. Im Folgenden geht es um den Vergleich über Einlageansprüche sowie Drittansprüche.
Vergleich über Einlageansprüche
Aktionäre können gemäß § 66 Absatz 1 Satz 1 AktG von ihren Leistungspflichten nach den §§ 54 und 56 AktG nicht befreit werden. In der Praxis stellt sich schon lange die Frage, ob es für dieses Erlass- bzw. Vergleichsverbot Ausnahmen gibt.
Schon das Reichsgericht hat in seiner Entscheidung im Jahr 1914 entschieden, dass ein Erlass der Stammeinlage in Form eines Vergleichs unzulässig ist, sofern nicht der Sache, sondern nur der Form nach ein Vergleich vorliege. Dagegen sei ein ernsthafter Vergleich zulässig. Diese Rechtsprechung entwickelte sich weiter. 2011 konkretisierte der BGH, dass ein Vergleich über unter § 66 Absatz 1 AktG fallende Ansprüche dann zulässig ist, wenn er wegen tatsächlicher oder rechtlicher Ungewissheit über den Bestand oder Umfang des Anspruchs geschlossen wird und sich dahinter nicht nur eine Befreiung in der Form eines Vergleichs versteckt. Objektiv betrachtet kann durch den Abschluss eines Vergleichs eine Befreiung des Aktionärs von seinen Leistungspflichten eintreten. Wenn aber der Umfang und die Existenz des Anspruchs ungewiss sind, stehe eine Befreiung aber gerade nicht fest. Grundsätzlich sei aber ein Vergleich, durch den die Ungewissheit darüber, was der Gesetzeslage entspricht, durch gegenseitiges Nachgeben beseitigt werde, trotz des Widerspruchs zum zwingenden Recht wirksam, wenn der Vergleichsinhalt den Bereich nicht verlasse, der bei objektiver Betrachtung ernstlich zweifelhaft sei. Die Beurteilung dessen, obliegt in erster Linie dem Tatrichter.
Dem BGH zufolge ist ein Vergleich über Einlage- oder Differenzhaftungsansprüche gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft und damit auch gegenüber dem Insolvenzverwalter wirksam. Begründet wird dies mit dem Schutzzweck der Norm. Ein kollusives Zusammenwirken von Organen und Aktionären zum Nachteil der Gesellschaftsgläubiger sei im Rahmen des § 66 Absatz 1 AktG nicht zu besorgen, weil ein Vergleich von vorneherein nur bei Ungewissheit über Bestehen oder Umfang der Einlageschuld in Betracht komme.
Vergleich über Drittansprüche
Prinzipiell ist ein Vergleich der Gesellschaft über Drittansprüche zulässig. Das Aktienrecht kennt nämlich kein generelles Vergleichsverbot, sondern weist nur verstreute Einzelvorschriften über Vergleichsbeschränkungen für bestimmte Arten von Ansprüchen auf. Da es keine Beschränkung für Drittansprüche gibt, kann über diese frei verfügt werden. Die Dispositionsbefugnis hat dabei der Vorstand inne. Zu fokussieren sind daher die Sorgfaltsanforderungen an Vorstandsmitglieder beim Abschluss eines konkreten Einzelvergleichs.
Allgemein betrachtet obliegt den Vorstandsmitgliedern die treuhänderische Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen. Das ihnen durch die Aktiengesellschaft anvertraute vermögen, haben sie sorgfältig zu verwalten. In diesem Zusammenhang spricht man strafrechtlich von Vermögensbetreuungspflicht und zivilrechtlich von einer organschaftlichen Vermögensverantwortung. Verlangt wird jedenfalls ein strukturiertes Vorgehen bei der Vergleichsvorbereitung.
Die Vorstandsmitglieder müssen die Nichteinigungsalternative analysieren und bewerten sowie Vorteile einer gütlichen Einigung analysieren. Schließlich müssen beide Handlungsoptionen gegenübergestellt werden. Dieser Abwägungsvorgang sollte sorgfältig und nachvollziehbar dokumentiert werden.
Vorstandsmitglieder dürfen nicht grundlos auf Ansprüche der Gesellschaft verzichten. Es gilt insofern das Verbot der Verschwendung von Gesellschaftsvermögen.
Verletzten Vorstandsmitglieder ihre Sorgfaltspflicht, sind sie zum Ersatz des daraus entstandenen Schadens verpflichtet. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage von Interesse, ob Vorstandsmitgliedern bei und ggfs. unter welchen Voraussetzungen beim Abschluss eines Vergleichs, die Privilegierung der Business Judgement Rule zu Gute kommt. Dazu müsste es sich beim Abschluss eines Vergleichs zunächst um eine unternehmerische Entscheidung handeln. Abschließend sind die Voraussetzungen einer unternehmerischen Entscheidung noch nicht geklärt. Aus den Gesetzesmaterialien zu § 93 Absatz 1 Satz 2 AktG lässt sich jedenfalls entnehmen, dass sie infolge ihrer Zukunftsbezogenheit, durch Prognosen und nicht justiziable Einschätzung geprägt sind. Bei der Entscheidung über den Vergleich handelt es sich um eine Entscheidung unter Unsicherheit und sie hat auch prognostische Elemente, da sie auf einer Einschätzung aus Klageaussichten und die voraussichtliche Entscheidung eines Gerichts oder Schiedsgerichts aufbaut. Diese Entscheidung ist folglich als unternehmerische Entscheidung einzustufen und als solche muss sie weiter auf Grundlage angemessener Informationen vorgenommen worden sein.
Auch Voraussetzung für den Schutz der Business Judgement Rule ist, dass das Vorstandsmitglied zum Wohle der Gesellschaft handelt. Grundsätzlich unterliegen unternehmerische Entscheidungen nur einer Evidenzkontrolle. Der weite Ermessensspielraum gilt es dann als überschritten, wenn eine gänzlich unvertretbare Entscheidung vorliegt. Wann dies der Fall sein soll, lässt sich nur anhand einer Gesamtwürdigung unter Einziehung aller Umstände beurteilen.
Bei einem Vergleich über Drittansprüche bedarf es keiner Zustimmung der Hauptversammlung. Dies gilt unabhängig vom Vergleichsvolumen. Der Aufsichtsrat hat immerhin im Rahmen des § 111 Absatz 4 Satz 2 AktG die Möglichkeit, die Entscheidung über den Vergleich einem vorab oder ad hoc Zustimmungsvorbehalt zu unterwerfen.